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Google für die Gesundheitsbranche

Mit Freunden aus Indien hat Gunjan Bhardwaj in Deutschland Innoplexus aufgebaut – eine ausgeklügelte Suchmaschine für die Pharmabranche, die Profiwissen aus dem Internet und Datenbanken aufspürt und aufbereitet.

Gunjan Bhardwaj (35) war auf dem besten Wege, das auskömmliche Leben eines aufstrebenden Unternehmensberaters zu führen. Arbeit und Gehalt bei Ernst & Young stimmten, das Betriebsklima war bestens, vor allem das Verhältnis zu dem für ihn zuständigen Senior-Partner. Dieser kam eines Tages allerdings mit einer schlechten Nachricht: Er sei an Krebs erkrankt, falle die nächsten Monate aus.

Die Diagnose war ein Schock, auch für Bhardwaj: Er wusste zwar, dass sein Kollege als Privatpatient in den Vorzug einer Chefarztbehandlung kam, aber er wusste nicht, ob die Klinik für die Therapie dieses speziellen Krankheitsbildes auch über die erforderliche Erfahrung und das notwendige Wissen verfügte.

Gunjan Bhardwaj tat das, was wohl viele in einer ähnlichen Situation tun: Er versuchte, alles Wichtige über die Erkrankung und ihre Therapie herauszufinden. Wo arbeiten die besten Ärzte? Welche wissenschaftlichen Studien lassen sich finden? Gibt es erfolgversprechende Alternativ-Therapien?

Google lieferte Bhardwaj massenhaft Treffer auf seine Anfragen. Doch die Informationen waren zum Teil veraltet, von zweifelhafter Qualität oder gar nicht relevant. Der Berater aktivierte zusätzlich sein berufliches Netzwerk, recherchierte bei der Deutschen Krebshilfe und in Universitätskliniken. Immer besser, präziser und wertvoller wurden die zusammengetragenen Informationen.

Doch eine Frage blieb unbeantwortet: Warum ist es in den Zeiten von Bits und Bytes nicht möglich, auf Knopfdruck aus dem Internet und den Datenbanken der ganzen Welt den neuesten Stand des Wissens zu bestimmten Krankheiten und ihren Behandlungen abzurufen? Und wie lässt sich das ändern?

Aus dieser Herausforderung ist inzwischen ein ambitioniertes Jungunternehmen namens Innoplexus mit Sitz in Eschborn bei Frankfurt entstanden, das mit viel Mathematik und Computertechnik das Problem gelöst hat.

Gemeinsam mit einem Entwicklerteam in Indien hat Gunjan Bhardwaj eine hochspezialisierte Suchmaschine für die Gesundheitsbranche entwickelt, eine Art Super-Google, das Profiwissen auf der ganzen Welt aufspürt.

Innoplexus macht es möglich, aus gewaltigen Datenmengen die wichtigen und für vorher definierte Anwendungen relevanten Informationen zu gewinnen – und zwar ruck, zuck und nicht in mühsamer, monatelanger manueller Auswertung durch teure Fachleute.

Das ausgeklügelte Suchsystem liefert nicht nur Patienten und Medizinern wertvolle Informationen. Für Pharma- und Biotechnik-Unternehmen wirkt es wie ein Beschleuniger für Forschung und Entwicklung: Sie kommen sehr viel schneller und kostengünstiger als bisher an den neuesten Stand des Wissens.

Dank des DAAD in Deutschland

Und die Gesundheitsbranche ist für Innoplexus erst der Anfang. Bhardwaj arbeitet bereits an einer Abwandlung der Methode, die weitere Anwendungen ermöglicht, etwa für Finanzdienstleister.

Dass Gunjan Bhardwaj sein Unternehmen gegründet hat, und das auch noch in Deutschland, hat viel mit seiner Hartnäckigkeit zu tun. Aber auch mit seiner skeptischen Grundeinstellung, ob es wirklich ratsam sei, das zu machen, was schon viele andere machen.

Als er vor zehn Jahren sein Wirtschaftsstudium am Indian Institute of Technology (IIT) in Mumbai beendete, zog es viele seiner Kommilitonen in die USA. Die Anziehungskraft Kaliforniens bestand auch darin, dass die indische Kaderschmiede IIT nach drei amerikanischen Hochschulen die meisten sogenannten „Einhörner“ hervorgebracht hat, also Start-ups mit einem Wert von mindestens einer Milliarde Dollar (siehe Grafik auf Seite 59).

Indes, Bhardwaj verfolgte andere Reisepläne: Er interessierte sich für den Standort Deutschland. Als ihm dann auch noch der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) ein Stipendium anbot, war seine Entscheidung gefallen. Seine neue Heimat fand er in Baden-Württemberg, zunächst an der Hochschule Pforzheim, später in Stuttgart als Jungberater bei Ernst & Young.

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Steve Jobs is watching you: Von Bhardwajs Bürowand aus überwacht der Apple-Gründer den Innoplexus-Gründer bei der Arbeit.
Quelle: Katrin Binner für BILANZ

Gemeinhin gilt das Ländle ja nicht unbedingt als einfaches Terrain für Zugereiste. Regionale Besonderheiten wie die Kehrwoche haben sich oft genug als Integrationshürden erwiesen. Ganz anders bei Gunjan Bhardwaj. Er entwickelte sich dort zu einem „indischen Schwaben“, wie er selbst sagt. Und das ist nicht übertrieben, die Stuttgarter Landesregierung ernannte den Mann zum „honorary representative of the state of Baden-Württemberg to India“, einer Art schwäbischer Ehrenrepräsentant für Indien.

Auch mit der schwäbischen Tugend des Schaffens freundete Bhardwaj sich bestens an. Bei Ernst & Young arbeitete er zunächst in der deutschen Abteilung für Strategie und Innovation, stieg aber rasch zum Leiter des globalen Business Performance Think-Tanks auf. Dann wurden die Wettbewerber von der Boston Consulting Group (BCG) auf seine Talente aufmerksam und warben ihn ab.

Seine Idee vom Aufbau eines verlässlichen Suchsystems für das weltweite Wissen im Gesundheitswesen nahm Bhardwaj mit zu BCG. Er arbeitete dort in New York im Team von Martin Reeves, einem ausgewiesenen Kenner des Gesundheitssystems. Reeves ermunterte Bhardwaj, das Projekt voranzutreiben.

Zum immer wichtigeren Partner wurde dabei sein Mumbaier Studienfreund Gaurav Tripathi (35), ein Informatiker, Mathematiker und Computer-Freak – genau der Richtige für die Umsetzung des Vorhabens. Das Duo traf sich verschiedentlich in Mumbai oder Stuttgart, schrieb E-Mails, tauschte sich über Skype aus und diskutierte, entwickelte, verbesserte und verfeinerte die Such-Algorithmen. Schließlich stand der Masterplan.

Es gab nur einen Haken: Um den neuesten Stand des medizinischen und pharmazeutischen Wissens aus Datenbanken herausfiltern zu können, musste der Algorithmus die Sprache der Gesundheitswissenschaften verstehen.

Das erforderte zusätzliche Kapazitäten an Pharma- und Medizinexperten, Programmierern und Fachleuten für die Blockkette. Und dafür brauchten Tripathi und Bhardwaj jetzt vor allem Geld.

Die beiden fanden eine kreative Lösung: 2011 gründeten sie Innoplexus, angesiedelt in Eschborn bei Frankfurt, mit einer Niederlassung im indischen Pune. Dann starteten sie ein Pilotprojekt und verkauften die Ergebnisse vorab an ein Unternehmen aus der Pharmaindustrie, gegen Vorkasse.

500 Mannjahre in Wissensaufbau investiert

Nach diesem Muster trieben der Inder aus Mumbai und der indische Schwabe aus Stuttgart Innoplexus voran: Sie verkauften weiter Projekte und investierten die Erlöse in die Entwicklung und Umsetzung ihres Suchsystems.

Dafür mussten sie erst einmal einige Voraussetzungen schaffen. Dass gängige Suchsysteme sich schwertun, medizinische Inhalte aus dem Internet oder geschlossenen Datenbanken herauszufiltern, liegt auch an der Sprache der Wissenschaftler. Wer bei Google zum Beispiel das Kürzel APR eingibt, landet in erster Linie Treffer aus den Bereichen Auto-Tuning und Kernenergie.

In der Pharma-Forschung bezeichnet APR allerdings ein Protein. Um dieses mit klassischen Suchmaschinen aufzuspüren, muss man lange suchen oder Suchbegriffe einschränken, was seltener zu neuen Entdeckungen führt.

Bhardwaj und Tripathi stellten deshalb ein Team zusammen, das die Fachsprache der Profis erfasste und computergerecht aufbereitete. Eine gewaltige Arbeit, schließlich kennt der Jargon der Biowissenschaften rund 26 Millionen Begriffskonzepte und semantische Assoziationen. Und selbst dieser große Aufwand bildete erst die Grundlage.

Zusätzlich musste Innoplexus seine Rechner mit Inferenz- und Integritätsregeln programmieren, also mit Regeln zu Schlussfolgerungen und zur Gewährleistung ihrer Gültigkeit, und ein Netzwerk von Informationen mit logischen Relationen knüpfen, um die entsprechenden Texte, Dokumente, aber auch Filme, Bilder und Präsentationen aus der Datenwelt herausfischen zu können.

Zu guter Letzt mussten die Unternehmer noch die sogenannte Crawling-Kompetenz entwickeln: die Fähigkeit, alle verfügbaren Datenlager in möglichst kurzer Zeit nach relevanten Ergebnissen durchsuchen zu können.

Als Ergebnis entstand „Iplexus“, eines der Kernangebote von Innoplexus: Das Produkt verbindet Trillionen von Datenpunkten und siebt aus dem gewaltigen Datenozean Informationen für die Pharmaindustrie.

Hierauf aufbauend, haben Bhardwaj und Tripathi Spezialanwendungen ersonnen, die sich auf einzelne Stufen der Entwicklung von Medikamenten beziehen, klinische Tests zum Beispiel, und die Markteinführung beschleunigen.

Für die beiden Gründer war die Produktentwicklung ein großer Kraftakt, der das Start-up in wenigen Jahren in eine internationale Denkfabrik verwandelt hat, mit einem dritten Standort in Hoboken, im US-Bundesstaat New Jersey, in S-Bahn-Nähe von New York.

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Bhardwaj Freunde von der Universität gingen in die USA, er entschied sich für Deutschland
Quelle: Katrin Binner für BILANZ

Inzwischen beschäftigt Innoplexus mehr als 250 Leute, darunter 35 Daten- und Computerexperten und mehr als 70 Software-Ingenieure. Viele von ihnen kommen von ersten Adressen der Forschungsszene, vom Max-Planck-Institut, der Johns-Hopkins-Universität und dem MIT in Boston.

500 Mannjahre hat Innoplexus für seinen Wissensaufbau und die Produktentwicklung aufgewendet – offenbar mit einigem Erfolg: 65 Patente hat das Unternehmen bis heute angemeldet, davon 50 im Bereich der Künstlichen Intelligenz und zwölf für die Blockkette.

Heute ist es möglich, pro Tag eine Milliarde Internetseiten gezielt nach den gesuchten Informationen zu durchforsten, darunter Mediziner-Kongresse und Patientenforen, Pharma-Studien und Patentzulassungen.

Bereits etliche Kunden in der Pharma-Branche

Der Innoplexus-Algorithmus filtert die Informationen heraus, einerlei, ob es sich um Texte, Bilder, Filme oder Tonaufnahmen handelt. Die in das Suchprogramm eingebaute Künstliche Intelligenz entscheidet dabei, ob es sich lohnt, eine Internetseite zu durchsuchen, oder ob sich der Computer lieber die nächste Seite vornimmt.

Zusätzlich zu den öffentlichen Informationen erschließt Innoplexus für seine Auftraggeber eine weitere Datenwelt: Kooperationen mit Forschungsinstituten und Kliniken in Asien, den USA und Europa machen es möglich, mithilfe von Blockchain-Technologie auch wissenschaftliche Arbeiten, klinische Studien und experimentelle Labordaten aufzustöbern, die bisher nur in geschlossenen Zirkeln kursierten.

Dabei funktioniert die Blockkette wie ein dezentrales Buchführungssystem, das exakt erfasst, wer das geistige Eigentum eines Wissenschaftlers nutzt; Ideenklau wird damit verhindert.

Für Pharmakonzerne bietet dieses Verfahren einen gewaltigen Vorteil: Um sich auf den aktuellen Stand von Spezialwissen zu bringen, konnten sie bisher nur teure Datenbanken anzapfen. Dafür bekamen sie zwar umfangreiche Rohdatensätze, die aber mussten von teuren Fachleuten zeitaufwendig gesichtet, bewertet und aufbereitet werden.

Gunjan Bhardwaj und seine Mannschaft erledigen dank der neuen Technik Suche, Analyse und Aufbereitung in einem einzigen integrierten Arbeitsgang. Vor allem aber sehr viel schneller. Zwischen Auftrag und Lieferung vergeht in der Regel nur eine Woche.

Der Zeitgewinn hat Innoplexus bereits etliche Kunden aus der Pharmaindustrie beschert. Es sollen aber noch deutlich mehr werden. Schließlich will Bhardwaj, dass aus Innoplexus nicht weniger als „ein europäischer Champion im Bereich der Künstlichen Intelligenz“ wird.

Für die Vermarktung ihrer Produkte haben sich die Jungunternehmer im vergangenen Jahr deshalb wahre Profis an Bord geholt: Jürgen Raths, der früher beim US-Pharmakonzern Eli Lilly einen Informationsdienstleister für Kardiologen und Intensivmediziner aufgebaut hat und nun den Titel eines Chief Medical Officer trägt, und Lawrence Ganti, der die Geschäfte auf dem wichtigen US-Markt ankurbeln soll, der allein knapp die Hälfte des Weltmarkts ausmacht. Ganti zählt in Amerika zu den Branchenstars, er hat bereits bei Merck Karriere gemacht, zuletzt als Präsident der Tochtergesellschaft in Lateinamerika.

Mit der Vermarktungsoffensive im Pharmamarkt will Gunjan Bhardwaj Innoplexus jetzt auf wirtschaftlichen Erfolg trimmen, schließlich gehört auch das zu den schwäbischen Tugenden. Er möchte beweisen, dass am Standort Deutschland nicht nur Traditionsindustrien gedeihen, sondern auch Anbieter von Zukunftstechniken.

„Parallel dazu“, sagt Bhardwaj, „wollen wir unsere Technik aber auch für andere Branchen nutzen.“ Ein vergleichbares Produkt für Banken und den Finanzsektor wird bereits entwickelt. Und ein Suchalgorithmus für wissenschaftliche Publikationen, eine Art Forscher- Google, ist längst in der Testphase.

Dieser Artikel wurde ursprünglich auf Welt veröffentlicht.

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