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Ein Gründer bekämpft Krebs mit künstlicher Intelligenz
Gunjan Bhardwaj hilft Pharmakonzernen, mehr über Krankheiten herauszufinden. Durch künstliche Intelligenz sollen sie schneller Medikamente entwickeln.
Frankfurt. Es war ein einschneidendes Erlebnis für Gunjan Bhardwaj, als bei einem guten Freund vor Jahren Krebs diagnostiziert wurde. Als der gebürtige Inder sich daraufhin im Internet über mögliche Therapieansätze informieren wollte, stellte er fest, dass es zwar viel Wissen über Krebs gibt, er es mit den bekannten Suchtechnologien aber nicht ausreichend erschließen konnte.
Das war die Geburtsstunde für die Geschäftsidee seiner Firma Innoplexus. Die hat es sich zur Aufgabe gemacht, neue Technologien zur Informationssuche und Entscheidungsfindung zu entwickeln. Mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz will Bhardwaj dazu beitragen, dass wertvolle Informationen schneller sinnvoll verbunden werden. Damit beispielsweise Wissenschaft und Pharmaindustrie schneller bessere Medikamente entwickeln können.
Der Unternehmer will zudem erreichen, dass das Wissen über Behandlungsmöglichkeiten nicht nur Spezialeinrichtungen und -kliniken zur Verfügung steht, sondern vielen Ärzten in vielen Krankenhäusern. „Es gibt überall Datensilos – in der Industrie, in der Wissenschaft oder bei den Behörden in den Kliniken. Sie sind öffentlich, aber nicht allen zugänglich. Wir wollen Daten demokratisieren. Hierfür muss es Technologien geben, die Medizinern und Forschern, aber auch Laien eine zweite und dritte Meinung liefern“, sagt Bhardwaj.
Der heute 34-Jährige wurde im nordindischen Bundesstaat Rajasthan geboren, in einem Ort unweit von acht Kernkraftwerken, die für Arbeit und Wohlstand in der Region sorgten. Bhardwajs Vater selbst arbeitete in den Kernkraftwerken, die Bildung für die Kinder stand im Fokus der Eltern.
Mathe und Schach, das waren die bevorzugten Freizeitaktivitäten von Sohn Gunjan und seinen Freunden. Nach der Schulzeit wechselte er zum Studium an das renommierte Institute of Technology Bombay (IIT), das einige erfolgreiche Unternehmer, darunter Infosys-Gründer Nandan Nilekani, zu seinen Absolventen zählt.
Mit dem Bachelor of Technology in der Tasche nahm Bhardwaj ein Stipendium in Deutschland an. An der Universität Pforzheim studierte er Internationales Management und Marketing. Parallel heuerte er zunächst als Praktikant bei der Wirtschaftsprüfung EY an. „Ich war hungrig, ich wollte mehr lernen und wissen“, beschreibt er seinen Antrieb.
Daten können Leben retten
Das Rastlose, der Hunger nach mehr, das blitzt immer wieder auf, wenn Bhardwaj von sich erzählt: Meist macht er nicht nur eine Sache, sondern mehrere gleichzeitig. Baut einen Thinktank bei EY auf, publiziert, bringt Inder und Schwaben als Geschäftspartner zusammen, wechselt zur Boston Consulting Group und verfasst eine Doktorarbeit über „Innovation in komplexen Systemen“.
Seine Firma Innoplexus gründete Bhardwaj zusammen mit seinem Freund aus IIT-Zeiten in Mumbai: Gaurav Tripathi ist Chief Technology Officer. Gestartet 2011 mit 20 Mitarbeitern, arbeiten heute rund 250 Beschäftigte für das Unternehmen, die meisten in Pune in Indien, weitere in Eschborn und New Jersey.
Das Kernprodukt wird von diversen großen Pharmafirmen genutzt, etwa dem Darmstädter Merck-Konzern und Pfizer. „Die Entwicklung von Medikamenten ist ein äußerst komplexer Prozess, der oft Jahre dauert“, heißt es bei Pfizer. Es sei wichtig zu eruieren, ob und wie große Datenmengen dabei helfen können, die Wirkstoffentwicklung zu beschleunigen oder auch noch passgenauer auf den individuellen Patienten auszurichten.
Mithilfe von selbst entwickelter künstlicher Intelligenz und Big-Data-Analyse wurden bei Innoplexus mehr als 300 Terabyte an relevanten klinischen Daten „gecrawlt“, wie es im Fachjargon heißt, und in einen logischen Zusammenhang gestellt. Die für den Kunden relevanten Informationen aus wissenschaftlichen Veröffentlichungen, klinischen Studien, Zulassungsberichten, Patientenforen, Kongressen und so weiter werden ständig aktualisiert.
Um das Wachstum zu finanzieren, holte Innoplexus 2016 zwei Venture-Capital-Gesellschaften an Bord: Die Apeiron Investment Group und die HCS Beteiligungsgesellschaften stiegen mit einem zweistelligen Millionen-Euro-Betrag ein. „Wir stehen ganz am Anfang eines gigantischen Biotech-Booms“, sagt Apeiron-Gründer Christian Angermayer. „Innoplexus stellt großen Pharmaunternehmen ebenso wie jungen Biotechunternehmen Werkzeuge zur Verfügung, die es ihnen erlauben, ihre Forschung deutlich zu beschleunigen und gleichzeitig die Kosten massiv zu senken. Am Ende kommt das uns allen in Form von neuen Medikamenten zugute.“
Ein tiefes Verständnis für die Kundenbedürfnisse
Hans-Christian Semmler, Geschäftsführer der HCS-Beteiligungsgesellschaft, attestiert Bhardwaj ein tiefes Verständnis der Kundenanforderungen und sieht ihn in puncto Einsatz für den gemeinsamen Erfolg als Vorbild. Bhardwajs Ziel ist einfach: „Wir wollen das größte Unternehmen für künstliche Intelligenz in Europa werden.“
Eher erstaunt schaut der Manager, wenn man ihn fragt, was er in seiner Freizeit macht. Freie Stunden verbringt er mit Frau und der kleinen Tochter, und manchmal spielt er auch eine Partie Schach gegen sich selbst. Meist aber entwickelt er neue Ideen für das Unternehmen – wie etwa eine Blockchain, die es Forschern ermöglicht, sich ohne Angst vor Wissensklau über fehlgeschlagene Versuche auszutauschen.
Als Nächstes hat der Unternehmer die Finanzbranche ins Auge gefasst. Ein erstes Produkt bietet als Ergebnis einer gezielten Internetsuche einen Rundumblick auf deutsche Aktiengesellschaften.
Bhardwaj, längst deutscher Staatsbürger, engagiert sich übrigens auch über seine Firma hinaus für Technologie. Er ist besorgt, dass das Niveau der deutschen Schüler bei den naturwissenschaftlichen und technologischen Themen viel niedriger ist als bei denen aus Indien, China und Südkorea. Deshalb will Innoplexus gemeinsam mit Frankfurter Schulen Datenwissenschaften für Schüler praxisorientiert aufbereiten. „Mathe soll Spaß machen“, findet Bhardwaj.
Dieser Artikel wurde ursprünglich auf Handelsblatt veröffentlicht.
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